Home   Über mich   Bücher   Hörbücher   Theaterstücke   Kontakt   Lesungen


Die Ermordung von Matthias Erzberger


Matthias Erzberger

Matthias Erzberger

Matthias Erzberger, geb. 20.9.1875 in Buttenhausen, katholischer Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei, reorganisiert als Finanzminister in der Weimarer Republik die Steuerverwaltung und schafft damit die Grundlagen für das heutige Steuersystem. Er ist einer der meistgehassten Männer seiner Zeit, unter anderem wegen seiner während des Kaiserreiches geäußerten Kritik an der deutschen Kolonialpolitik und der Offenlegung von Misswirtschaft und Korruption in der Kolonialbürokratie, was ihm die lebenslange Feindschaft des von den Skandalen betroffenen deutnationalen Politikers Karl Helfferich einträgt.

Ein weiterer Grund für den Hass maßgeblicher Kreise gegen Erzberger besteht darin, dass er, obwohl ursprünglich durchaus ein Befürworter von Annexionspolitik und militärischer Aufrüstung, im Laufe des Ersten Weltkriegs seine früheren Ansichten revidiert, sich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wendet und für einen Verständigungsfrieden eintritt. Im Gegensatz zu etlichen Politikern, Wirtschaftsführern und Militärs gewinnt er schon früh eine realistische Einschätzung von den Machtverhältnissen im Krieg und dessen wahrscheinlichen Ausgang und belegt dies regelmäßig mit konkreten Zahlen und Nachweisen über Lügen der Obersten Heeresleitung, die seine Friedensbemühungen sabotiert.

Nicht zuletzt machen ihn seine Feinde verantwortlich für die Friedensbedingungen nach dem 1. Weltkrieg, die er im November 1918 unterzeichnet – auf ausdrücklichen Wunsch von Hindenburg, der zusammen mit Ludendorff maßgebliche Schuld trägt an der Niederlage des deutschen Heeres, aber die Verantwortung dafür lieber Zivilisten überlässt, Ursprung der Dolchstoßlegende – und nennen ihn “Novemberverbrecher“.

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Finanzminister sorgt er für eine Besteuerung von Vermögen, um die Reichsfinanzen zu sanieren, was ihn erneut zur Zielscheibe von Hass und Hetze werden lässt. Hierbei tut sich besonders sein Intimfeind Helfferich hervor. In einem Prozess, den Erzberger gegen Helfferichs Verleumdungen führt und der von heftigen Angriffen auf Erzberger durch die deutschnationale Presse begleitet wird, wird der Ankläger wie ein Angeklagter behandelt. Das Urteil fällt dann auch desaströs aus.

Die fortwährende Hetze gegen ihn, einschließlich der fortwährenden Angriffe Helfferichs bilden den ideologischen Humus, auf dem die Mordanschläge gegen ihn gedeihen. Insgesamt werden - je nach Lesart - fünf oder sechs Anschläge auf Erzberger verübt:

  • In der Nacht zum 24. Juni 1919 wollen ihn Angehörige der Reichswehr in Weimar lynchen.

  • In der Nacht zum 28. Juni 1919 wird sein Arbeitszimmer im Finanzministerium beschossen und der Raum, den man für sein Schlafzimmer hält, durch eine Handgranate verwüstet. (Cord Gebhardt stellt allerdings in seinem Buch über Heinrich Tillessen (s. u.) klar, dass dieser Anschlag nicht Erzberger gilt, sondern dem gegenüberliegenden Ministerium).

  • Am 14. November 1919 versucht eine aufgebrachte Menge, ihn aus seiner Wohnung zu holen. Erst eine Hundertschaft der Polizei kann den Mob zerstreuen.

  • Während des Kapp-Putsches (13. - 23. März 1920) sucht die Brigade Ehrhardt nach ihm. Er überlebt nur, weil er sich in einem Tempelhofer Kloster versteckt.

  • Am 26.1.1920, während des Beleidigungsprozesses Erzbergers gegen den Abgeordneten Helfferich schießt der Oberprimaner Oltwig von Hirschfeld auf ihn, als er das Gerichtsgebäude verlässt. Eine Kugel trifft Erzberger in die Schulter, die zweite prallt an der Uhrenkette ab und bleibt in Papieren in seiner Brusttasche stecken. Hirschfeld kommt mit lächerlichen 18 Monaten Gefängnis davon.

Die Erzbergermörder Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen

Der sechste Anschlag.

Am 26. August 1921 unternehmen Erzberger und sein Parteikollege Carl Diez einen Spaziergang in Bad Griesbach, einem Kurort im Schwarzwald, den Kniebis hinauf. Zwei Wanderer überholen sie, ohne zu grüßen – es sind die Mörder, Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen, Mitglieder der republikfeindlichen Organisation Consul (kurz: Organisation C. oder OC). Da der Weg durch Regen rutschig ist, beschließen Erzberger und Diez um kurz vor 11 Uhr umzukehren.

Plötzlich sind die beiden Männer wieder da. Ohne Vorwarnung ziehen sie ihre Pistolen und schießen aus nächster Nähe auf Erzberger. Diez versucht, sie mit seinem Schirm abzuwehren, aber er wird getroffen und stürzt zu Boden. Erzberger, obwohl bereits schwer verwundet, versucht, seitwärts zu entkommen und rutscht einen Hang hinab, während die Mörder weiter auf ihn feuern. Am Fuße einer Tanne bleibt er liegen. Die Attentäter folgen ihm und schießen ihm mehrmals in den Kopf.

Die Mörder fliehen nach Ungarn. Kurz vor der Machtübernahme der Nazis kehren sie nach Deutschland zurück. Tillessen bereut die Tat später und stellt sich 1945 der amerikanischen Militärpolizei.

Quellen:

  • Carl Diez: Die Lebensgeschichte eines Menschen (Aktiengesellschaft Oberbadische Verlagsanstalt, Konstanz, 1929)

  • Klaus Epstein: Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie (Verlag Annedore Leber, Berlin und Frankfurt am Main, 1962)

  • Cord Gebhardt: Der Fall des Erzberger-Mörders Heinrich Tillessen (J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1995)

Lesetipp: Authentisch und spannend werden diese Ereignisse im Kriminalroman „Organisation C.“ beschrieben.

Carl Diez

Carl Diez